Stefan Liebich, 29 Jahre alt, Vorsitzender der Berliner PDS, ist der
entscheidende Vermittler zwischen Parteiführung und Basis. Er erklärt
den Genossen schwierige Sparbeschlüsse der rot-roten Koalition und
weiß, wie die Partei konsequent für Frieden sein kann, auch wenn ihre
Senatoren nicht demonstrieren gehen. Doch Liebich sagt auch, dass
Sparen allein nicht reicht.
Herr Liebich, selten war die Berliner
PDS so gespalten wie beim Besuch des US-Präsidenten. Die Basis
demonstriert, die Senatoren sagen ab. Müssen Sie sich nicht bald mal
entscheiden, ob Sie nun Regierung oder Opposition sein wollen?
Wir sind ja de facto beides. Im Land Berlin sind wir Regierung, im Bund Opposition.
Daraus wird ein furchtbares Rumeiern, ein Spagat zwischen Regierungshandeln und Basisgekuschel.
Das ist ein Spannungsfeld, das wir aushalten müssen. Das können wir
auch. Der Konflikt ist ja nicht neu. Auch unsere Bezirksbürgermeister
mussten schon strittige Dinge umsetzen, während die Landespartei
Opposition war.
In den Bezirken geht es aber kaum um den Weltfrieden. Ein Streit über Tempo-30-Zonen ist beherrschbarer.
Frieden ist auch wichtiger. Ich glaube trotzdem, dass wir das schaffen.
Wir müssen einfach von vornherein auf Konflikte hinweisen und
klarstellen, dass Parteimitglieder in bestimmten Positionen sich anders
verhalten müssen als es die Basis kann. Das hat auch mit Verantwortung
fürs Amt zu tun.
Ihr Koalitionspartner SPD sagt, die PDS sei noch nicht in der Regierung angekommen. Stimmt das?
Wenn damit gemeint ist, als Regierungspartei dürfe man keine
abweichenden Meinungen vertreten, dann will ich gar nicht ankommen. Wir
bleiben natürlich unterschiedliche Parteien, auch wenn wir gemeinsam
regieren.
Werden die PDS-Senatoren also noch demonstrieren?
Ein generelles Demo-Verbot gibt es nicht. Das entscheiden wir von Fall zu Fall.
Haben Sie keine Angst, dass die PDS sich in der Regierung verschleißt?
Diese Frage stellt die Basis oft: Gehen wir jetzt den Weg der Grünen?
Wir wollen aber Kritik und Protest in unserer Partei weiter zulassen
und sogar befördern. Alles andere macht keinen Sinn.
Und weil die Genossen so
diszipliniert sind, wird Ihnen keiner Brause über den Kopf kippen wie
neulich bei der Grünen Claudia Roth.
Das ist ein Klischee, dass bei uns alle so diszipliniert sind. In
Wirklichkeit sind unsere Mitglieder sehr selbstbewusst und sehr
kritisch. Schon weil sie nach ihren Erfahrungen in der DDR keiner
Parteiführung mehr trauen.
Also doch Brause?
Nein. Ich behaupte, wir stellen das klüger an als andere. Wir wollen
berechtigte Kritik nicht nur anhören, sondern auch umsetzen. Dafür
laden wir sogar Kritiker von außen ein. Die Expertenkommission zur
Zukunft des Uniklinikums Benjamin Franklin ist ein Beispiel. Wir werden
sehen, wie das funktioniert.
Sie sind auf Sachverstand von außen
wohl auch angewiesen. Vor einem Jahr haben Parteistrategen scharf
analysiert, dass der PDS zum Regieren die Konzepte fehlen. Holen Sie
das jetzt nach, »learning by doing«?
Berlin ist als einzige Ost-West-Stadt nun mal ein Sonderfall. Hinzu
kommt die katastrophale Haushaltslage, da hat niemand Patentlösungen.
Der Opposition geht es auch nicht anders.
Die Opposition muss aber nicht gleichzeitig regieren. Wo ist die PDS denn besonders schwach?
In der Wissenschaftspolitik sind wir sehr gut. Aber im Bereich Bildung
etwa müssen alle Parteien noch gehörig zulegen. Da geht es bisher immer
nur um mehr Lehrer statt um bessere Inhalte.
Das Ansehen von Rot-Rot ist seit Regierungsantritt eher gesunken. Wie wollen Sie das ändern?
Ich finde das Ansehen angesichts der unangenehmen Sparaufgaben überraschend gut. Erst recht im Vergleich zur Opposition.
Die PDS ist die einzige Partei, die zurzeit weniger Stimmen bekäme als bei der Wahl im vergangenen Herbst.
Panik ist da unangebracht. Wir sind mit Gregor Gysi auf 22,6 Prozent
gekommen, ein extrem hoher Wert. Es wäre illusorisch, unseren Erfolg
daran zu messen, ob wir dieses Ergebnis halten oder nicht. Realistisch
sind 18 bis 20 Prozent.
Wie wollen Sie die erreichen? Wohl kaum mit Haushaltsdebatten.
Bis jetzt haben die Themen Sparen und Bankgesellschaft einfach alles
andere erdrückt. Damit lassen sich wenig Punkte machen. Da muss und
wird natürlich noch mehr kommen.
Was zum Beispiel?
Wir brauchen mehr linke Reformprojekte. Wir müssen klarmachen, dass wir
eine andere Richtung einschlagen als die Vorgängerregierung, ohne dass
wir aber mehr Geld ausgeben könnten.
Geht es etwas konkreter?
Beispiel Innenpolitik: Ob man mehr Bürgerrechte oder einen starken
Staat will, hängt nicht vom Haushalt ab. Das sind
Richtungsentscheidungen. Ähnlich ist es bei Deeskalation als
Polizeitaktik oder bei Druckräumen für Drogensüchtige. Wir setzen auf
mehr Liberalität.
Das ist doch täglicher Kleinkram und noch kein Reformprojekt.
Das sind Image- und Hauptstadtfragen. Nehmen Sie dazu die Idee einer
»One-Stop-Agency«, über die alle seit Jahren reden. Mit uns, mit Gysi
als Wirtschaftssenator, wird es zum ersten Mal umgesetzt: weniger
Anlaufstellen für Firmen, weniger Ausgaben für das Land.
Das reicht für die Wiederwahl?
Ein paar gute Taten sind sicher nicht genug. Wir müssen auch
Verständnis dafür schaffen, dass wir nicht aus Bosheit sparen, sondern
aus Notwendigkeit. Zum Teil wird das auch schon verstanden.
Aber Sie brauchen doch mehr als kleine Reformideen, um über die Sparquälerei hinwegzutrösten.
Sie meinen: Visionen?
Zum Beispiel. Was ist denn übrig von Berlin als »Werkstatt der Einheit«? Da hatte Rot-Rot so einiges vor.
Ohne Visionen werden wir sicher nicht glücklich. Aber man kann es auch
einfach Aufgaben nennen. Im Koalitionsvertrag steht, dass für die
innere Einheit Erfahrungen aus Ost und West angemessen berücksichtigt
werden müssen. Da gibt es auch schon positive Signale.
Unverbindlicher kann man es kaum formulieren.
Konkret heißt das, die PDS muss lernen, dass es im Westteil Berlins
eine andere, genauso respektable Sicht auf die USA gibt. Und der
Westteil muss akzeptieren, dass auch kritische Persönlichkeiten aus dem
Osten, wie Daniela Dahn, offiziell geehrt werden können. Es wird noch
mehr Gelegenheiten geben, wo diese Ost-West-Stadt Signale setzen kann.
Das Gespräch führten Jan Thomsen und Christine Richter.
(c) Berliner Zeitung