Stefan Liebich ist froh, dass es die DDR nicht mehr gibt. Andernfalls
wäre er heute vermutlich Arzt und würde seine Patienten für die Stasi
bespitzeln. So aber konnte der schlaksige 28-Jährige am Donnerstag
vergangener Woche im Roten Rathaus sitzen und - Seit' an Seit' mit dem
Politfuchs Peter Strieder von der SPD - eine Pressekonferenz geben. Die
Parteivorsitzenden der künftigen rot-roten Koalition berichteten von
den ersten Verhandlungen. Routiniert schäkerte Liebich mit den
Journalisten. Einmal rutschte ihm heraus: "Die PDS, also ich, habe klar
gemacht ..." Strieder lächelte fein. An Selbstbewusstsein fehlt es
Liebich nicht. Wie angespannt er war, sah man erst nach dem Auftritt.
Er gab noch Radiointerviews, die Stimme ruhig, doch hinter dem Rücken
hatte er die Hände verknotet, knetete sie wild, bis die Fingerkuppen
weiß anliefen.
Anfang Dezember hat die Berliner PDS Liebich als Nachfolger von Petra
Pau zum Landesvorsitzenden gewählt. Zwei Tage später, als die Gespräche
über eine Ampelkoalition platzten, wurde er ins Rampenlicht
katapultiert. Stefan Liebich - ehrgeizig und eines der jungen Talente
seiner Partei - ist nun PDS-Verhandlungsführer.
Liebich wurde 1972 in Wismar geboren. Als er zehn Jahre alt war, zog
die Familie nach Berlin-Marzahn. Seine Mutter war Krankenschwester,
sein Vater Nachrichtentechniker, beide in der SED. Stefan war ein
kluges Kind, in der Schule fleißig und strebsam. Natürlich machte er
bei den Jungen Pionieren mit und bei der FDJ. Dass irgendetwas nicht in
Ordnung sei an der DDR, der Gedanke kam ihm gar nicht. Er war einer von
denen, die von Mitschülern als 150-Prozentige verlacht wurden.
Liebich wollte Medizin studieren. Sein Zeugnis war nicht gut genug. Die
Stasi bot ihre Hilfe an. Er verpflichtete sich zur Mitarbeit und wurde
zum Abitur zugelassen. Alle paar Monate ließ er sich dann über
"staatsfeindliche Bestrebungen" in seinem Umfeld befragen. "Ich habe
das MfS als normalen Teil der Regierung gesehen", erklärt er im
Rückblick. Er spricht offen über seine Verstrickung. Und hofft, er wäre
"irgendwann noch an Ecken und Kanten gestoßen" und ins Grübeln
gekommen. Sicher ist das nicht. Als die DDR kollabierte, war er
deprimiert. Nach dem Mauerfall weigerte er sich eine Woche lang, den
Westen zu betreten. An seinem 18. Geburtstag, früher ging es nicht,
trat er der PDS bei. Es gab viele Ostdeutsche damals, die machten es
sich in ihrer Verliererrolle gemütlich. Und es gab einige, die wollten
die besseren Wessis werden. Stefan Liebich studierte
Betriebswirtschaftslehre und ließ sich von IBM unterstützen.
Als sich Anfang der neunziger Jahre andere junge PDSler gegen
Stasi-Seilschaften und DDR-Muff verkämpften, hielt er sich zurück.
Einer Kollegin, die damals mit ihm über die Zwangsvereinigung von SPD
und KPD diskutierte, antwortete er: "Du hast ja Recht. Aber müssen wir
die Genossen damit quälen?" Inzwischen ist die PDS erwachsen geworden.
Die Reformer haben in allen Gremien sichere Mehrheiten und drängen in
die Regierungen. Die Zeit der rebellischen Jugendlichen und
Vorzeigepunks ist vorbei. Jetzt sind solide Arbeiter gefragt - wie
Liebich. Jemand wie er hätte auch in einer anderen Partei Karriere
gemacht. Er ist der Friedrich Merz der PDS: gut erzogen, schnell
studiert, in der Partei geackert, smart im Auftreten, stets
vorbereitet. Wenn Liebich von seiner Zeit als Aushilfe in einem
Imbisskiosk erzählt, klingt das wie Merz' Versuch, sich eine wilde
Jugend im Sauerland anzudichten.
Liebich weiß, wo der Weg nach oben verläuft. Nach seiner Wahl ins
Abgeordnetenhaus 1995 blieb er nur ein halbes Jahr im Jugendausschuss.
Den Haushaltsausschuss, wo die wirklich Einflussreichen sitzen, fand er
interessanter. Dort hat er gelernt, dass vieles Wünschenswerte nicht
finanzierbar ist. So wie Liebich ist, wird die PDS in Berlin Politik
machen: unideologisch und pragmatisch - solange es nur etwas sozialer
zugeht. Und mit der leise nagenden Frage im Hinterkopf, ob man sich
dabei nicht doch zu sehr verbiege.
Ein guter Freund, Abgeordneter wie er, schenkte Liebich nach der Wahl
zum Landeschef eine Joschka-Fischer-Biografie. Und sagte dazu, das Buch
sei "nicht als Ermahnung" gemeint.
Toralf Staud
(c) Die Zeit